22. Juli 2020
Ein 410 Kilometer langer Fernwanderweg und 111 Gelegenheiten, ihn zu verlängern: Wenn man etwas im Saarland besonders ausgiebig machen kann, dann ist es wandern – und das durch wilde Natur und über einen der schönsten Wanderwege Deutschlands.
Stephan blinzelt in die Sonne. Für den heutigen Septembertag wurden hochsommerliche Temperaturen vorhergesagt, deswegen ist er schon früh morgens aufgebrochen. Hier im Wald ist es noch angenehm kühl. Sanft federt der Waldboden seine Schritte ab. An den haushohen Buchen, Eichen und Douglasien wächst Moos empor, und Sonnenstrahlen blitzen durch die Baumkronen. Kurz erfrischt sich Stephan an einem kleinen Bachlauf und lässt das kalte Wasser über seine Unterarme rinnen, bevor er seine Tour fortsetzt.
Idyllische Graspfade und schmale Waldwege wie dieser sind ganz typisch für den Saar-Hunsrück-Steig: 70 Prozent der Strecke führen über Waldboden, Gras oder am Fluss entlang – was ihn europaweit einzigartig macht. Und, was Stephan besonders gut gefällt, „es ist fast unmöglich, sich zu verlaufen. Alle paar hundert Meter sind die blau-grünen Wegweiser gut sichtbar angebracht“. Schön ist der Fernwanderweg im ganzen Jahr. Nicht umsonst wurde der 410 Kilometer lange Premiumwanderweg bereits zweimal zum „schönsten deutschen Fernwanderweg“ gekürt. Stephan, der in der Region aufgewachsen ist und sie kennt, wie kein Zweiter, mag es hier im Herbst am liebsten, wenn sich die Blätter der Bäume gelb und orange färben.
Da der Weg über den Hunsrück führt, kann man eine Hälfte seines Namens landschaftlich eindeutig zuordnen. Den Saar-Teil jedoch nur bedingt, denn der Steig begegnet auf seinen 27 Etappen ziemlich vielen Flüssen: Er beginnt in Perl an der Mosel, überquert zweimal die Saar, trifft bei Nonnweiler auf die Prims, kommt bei Idar-Oberstein der Nahe ganz nahe, winkt dem Simmerbach von Weitem, läuft einmal quer über den Hunsrück Richtung Mosel, macht wieder einen Schlenker zum Simmerbach, um dann in wilden Kurven ins Ziel nach Boppard am Rhein zu schlingern.
Vielleicht haben sich die Namensgeber des Steigs für die Saar entschieden, weil der Wanderweg an einem der schönsten Aussichtspunkte auf den Fluss vorbeiführt. Der 180 Meter über dem Fluss gelegenen Aussichtspunkt „Cloef“ gehört zu den beliebtesten Sehenswürdigkeiten des Saarlands. Entspannt sitzt Stephan abseits der Terrasse, auf der Touristen aus vielen verschiedenen Ländern die Aussicht genießen. Satzfetzen auf Englisch und Französisch wehen mit dem Wind zu ihm herüber. Dann hört er wieder die typisch saarländische Mundart. Sie alle kommen, um der Saar zuzusehen, wie sie unten im Tal eine Schleife um einen bewaldeten Bergrücken zieht.
Die Begleiter des Saar-Hunsrück-Steigs
Da Stephan auch das Saarland abseits des Steigs erkunden möchte, hat er sich vorgenommen, auch auf einigen Traumschleifen wandern zu gehen. Der Felsenweg, von dem ein großer Teil auf dem Saar-Hunsrück-Steig verläuft, hat es ihm besonders angetan. Kein Wunder! Betritt man in der Nähe von Scheiden den Wald, kommt es einem vor, als würde man in eine andere Welt hineinspazieren. Auf den ersten paar Metern säumen Wände aus jungen Laub- und Nadelbäumen den weichen Waldweg. Ist der kleine Aufstieg geschafft, lichtet sich der Wald und gibt den Blick auf den Lannenbach frei, der sich hier zwischen den Bäumen hindurch schlängelt. Kleine Holzbrücken führen über das langsam dahinfließende Gewässer. An einem alten Nadelbaum hängen der lilafarbene Traumschleifen- und der grün-blaue Saar-Hunsrück-Steig-Wegweiser. Nach einigen Metern wird klar, wieso diese Tour Felsenweg heißt. Ein beeindruckender hellgrauer Felsen liegt mitten im Wald, der Bärenfels. An diesem führt der Wanderweg über moosbewachsene, natürliche Stufen hinauf. Er ist einer von drei mächtigen Steinen, die Wanderer auf dem Felsenweg überwinden müssen.
Insgesamt 111 Traumschleifen liegen rund um den Saar-Hunsrück-Steig, 45 davon im Saarland. Die allesamt als Premium-Wanderstrecken ausgezeichneten Rundwege sind zwischen 5 und 20 Kilometer lang. Die meisten starten ab oder in der Nähe des Saar-Hunsrück-Steigs. Auch auf den Traumschleifen ist es dank der lilafarbenen, gut sichtbar platzierten Schilder fast unmöglich, sich zu verlaufen.
Übernachten bei den Kelten
In der Abenddämmerung betritt Stephan den Nationalpark Hunsrück-Hochwald. Mittlerweile ist die Luft abgekühlt, doch hier zwischen dem dichten Blätterdach der Bäume und der dicken, raschelnden Laubschicht auf dem Waldboden ist es noch überraschend warm. Je höher er den steilen Waldweg hinaufsteigt, desto mehr Steine liegen am Wegrand. Zuerst klein wie Ziegelsteine, bald größer als ein Mensch. Zuerst verzieren sie nur den Rand des Weges, dann liegen sie mittendrin, als hilfreiche Treppenstufen.
Es sind die Ausläufer des keltischen Ringwalls, der sich auf dem Dollberg im Nationalpark erhebt. Hier standen einst die mächtigsten keltischen Festungsmauern Europas. Die im ersten Jahrhundert vor Christus noch 20 Meter hohen und 25 Meter breiten Wehrmauern machten die dahinter liegende keltische Siedlung uneinnehmbar. Heute sind vom Hunnenwall, wie er im Volksmund genannt wird, nur noch Mauerreste übrig. Aber die können sich sehen lassen: Der mächtige Geröllberg zieht eine zweieinhalb Kilometer lange Schneise durch den bewaldeten Bergkamm.
Stufe für Stufe erklimmt Stephan den Wall. Auf der anderen Seite angekommen, zieht er sein Handy aus dem Rucksack. Ganz hier in der Nähe muss der Trekkingplatz liegen, sein Ziel für diese Nacht. Nach wenigen Metern führt ihn das Navi querfeldein in den Wald hinein. Die meisten Trekkingcamps sind von den Waldwegen aus nicht einsehbar, damit die Gäste trotz der Nähe zum Fernwanderweg ein bisschen Privatsphäre genießen können. An einem Abhang, ein paar Höhenmeter unter sich, entdeckt Stephan schließlich die große Holzplattform, auf der zwei Zelte Platz haben.
Das Trekkingcamp Keltenlager, in dem Stephan heute übernachtet, ist nicht der einzige Trekkingplatz entlang des Saar-Hunsrück-Steigs. Die Camps liegen mitten im Wald, ganz versteckt und sind die idealen Übernachtungsorte für Wanderer, die noch mehr wilde Natur erleben wollen. Sie können online für zehn Euro pro Nacht gebucht werden. Mit der Buchungsbestätigung werden dann die GPS-Daten und ein Kartenausschnitt der „letzten Meile“ mitgeschickt, der die Wanderer zu den Campgrounds führt.
Mittlerweile ist es dunkel geworden. Stephan sitzt, ein kleines Campinglicht vor sich, am Holztisch und isst sein Abendbrot. Hinter ihm wartet schon sein Nachtlager, ein grünes Wurfzelt mit Schlafsack und Decke. Es raschelt im Unterholz. Ob es eine der scheuen Wildkatzen ist, die hier im Nationalpark leben? Stephan freut sich schon auf die Nacht in der Natur. Aber zuerst macht er das Campinglicht aus und genießt den Blick in den klaren Sternenhimmel.
Fotos: Gregor Lengler