Gutes aus zwei Welten
Saarlouis im Saarland ist die vielleicht französischste Stadt Deutschlands – ein Spaziergang.
Wir kommen am frühen Nachmittag in Saarlouis an und schauen uns in der Altstadt um – es ist schon was dran. Das alles hier könnte auf den ersten Blick auch irgendwo in Frankreich spielen: der kleine Platz mit den großen Schatten spendenden Laubbäumen, an dem wir geparkt haben. Drumherum die Fassaden mit ihren schmalen geschmiedeten Balkonen. Und die Menschen, die draußen in den Cafés sitzen. Wir suchen uns einen freien Tisch in der Sonne, bestellen Kaffee und lesen erst einmal ein wenig über diese deutschen Stadt mit den französischen Wurzeln.
Eine wechselvolle Geschichte
Wenn man sich alte, gezeichnete Pläne der Festungsstadt anschaut, dann sieht Saarlouis aus der Luft wie ein militärischer Ordensstern aus: eine als Sechseck angelegte Siedlung mit sechs Bastionen, die übrigens niemand Geringeres als Ludwig XIV. durch seinen Baumeister Vauban errichten ließ, und zwar 1680, nachdem Lothringen an Frankreich gefallen war. Es ging also um das Sichern der Ostgrenze Frankreichs. Die Einwohner von Saarlouis haben haben in der Folge öfter mal die Nationalität gewechselt. Die Stadt wurde preußisch, gehörte nach dem Zweiten Weltkrieg zum französischen Zollgebiet, wurde schließlich mit dem Saarland in die Bundesrepublik eingegliedert. Was hat das alles mit der Stadt gemacht? Wir unternehmen eine Führung mit Gilbert Jaeck, einem Franzosen, der seit vielen Jahrzehnten in der Stadt lebt.
Bienvenue – Kontraste ziehen sich an
„Wärt ihr vor 340 Jahren gekommen“, begrüßt der uns denn auch, „dann hätte ich euch hier auf Französisch begrüßt: Bienvenue à Saarlouis! Denn diese Stadt hat über 100 Jahre zu Frankreich gehört, und das hat uns natürlich stark geprägt.“ Die Führung beginnt im Rathaus von Saarlouis, einem deutschen Nachkriegsbau aus den 1950er-Jahren, in dem unter anderem wertvolle französische Gobelins aus dem 17. Jahrhundert hängen. Deutschland und Frankreich kontrastreich vereint – das werden wir in Saarlouis noch öfter sehen.
Französisches Flair?
Für Gilbert ist es aber gar nicht so sehr das französische Flair der ehemaligen Grenzstadt, das zu seinem persönlichen Lebensgefühl in Saarlouis beiträgt – und das existiert bei näherem Hinsehen wohl auch nur hier und da ein klitzekleines bisschen. Es ist die Nähe zu Frankreich, die er als gebürtiger Franzose seit langem schätzt: „Wir haben viele Produkte aus dem Nachbarland bei uns in den Supermärkten“, erzählt unser Guide, „und ich kann auch jederzeit schnell über die Grenze fahren, um Wein oder Käse zu kaufen.“ Gilbert zeigt uns die spannendsten Ecken seiner Wahlheimat. Nach dem Rathaus geht’s in die Ludwigskirche, die wie das Rathaus am Großen Markt steht, dem einstigen Exerzierplatz der Franzosen. Heute ist hier Markttag – und an den anderen Tagen ein Parkplatz, was uns dann doch wieder sehr deutsch und autoverliebt vorkommt.
Eine Kirche aus schützendem Beton
Doch zurück zur Ludwigskirche, einem echten Schatz von Saarlouis: Durch den neogotischen Turm betreten wir staunend ein Gotteshaus, welches so gar nicht zum Eingang passt – das neogotische Kirchenschiff hatte nämlich Kriegsschäden und statische Mängel und musste 1965 gesperrt werden. Der neue Hauptraum der Ludwigskirche entstand Ende der 1960er-Jahre nach einem Entwurf von Gottfried Böhm, und ist außergewöhnlich. Denn in dem im Stil des Brutalismus errichteten Bau bilden die Sichtbetonwände, die sich im oberen Bereich zu einer kubischen Skulptur ausfächern, die modernen Glasfenster und der neogotische Hochaltar überraschende Kontraste. Das Kirchenschiff wirkt wie ein sicherer, starker Schutzraum mit ganz zarten, zerbrechlichen Akzenten und hat eine sehr eigene, berührende Aura. Gilbert schaut in unsere Gesichter – er lächelt, er kennt die Wirkung, die dieses ungewöhnliche Bauwerk auf Besucher ausübt.
Genießen auf Saarländisch
Weiter geht’s zur längsten Theke des Saarlandes – in die ehemaligen Kasematten der französischen Festung sind viele internationale Restaurants eingezogen, eine friedliche Umnutzung der militärischen Anlage, die Ende des 19. Jahrhundert geschleift wurde. Wir spazieren durch das Deutsche Tor, vorbei an alten Kanonen, und flanieren durch die Überbleibsel der großen Festungsanlage. Wo früher bewacht und verteidigt wurde, vergnügen sich heute Jugendliche auf überdimensioniert wirkenden Freiflächen beim Skaten. Luftige Stäbe aus Cortenstahl markieren, wie einst die Mauern verliefen, und machen aus diesem Teil der Stadt eine Art Freiluftmuseum. Und im Innenbereich der alten Festung sitzen wir unter schattigen Bäumen in einem Biergarten.
Wie schön, dass Saarlouis jetzt schon so lange kein Zankapfel mehr ist. Lebensfreude und Leichtigkeit entstehen ja oft genau da, wo Mauern vormals am dicksten waren. So anmutig, wie andere französische Städte wird Saarlouis nie sein – zu militärisch ist seine Vergangenheit, zu groß waren die Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg. Aber als lebendiges Symbol dafür, dass zwischen Deutschland und Frankreich nun Frieden herrscht, das Europa zusammenwächst, ist diese Stadt sehenswert. Wir kehren noch bei Gilbert und seiner Frau im kleinen Hinterhofgarten ein, trinken im ehemaligen Pferdestall des Hauses aus dem 17. Jahrhundert (also aus französischer Zeit!) standesgemäß einen Crémant, der bestimmt direkt aus Frankreich importiert wurde, von Gilbert. Und gehen danach gemeinsam Elsässer Flammkuchen in der Altstadt essen. Über dem Haus, in dem Michel Ney, ein Marschall unter Napoleon, geboren wurde, wehen zwei Fahnen. Die deutsche und die französische.