28. Juli 2020
Lothar Wilhelm ist ein Urgestein des UNESCO Biosphärenreservats Bliesgau. Mitten im Wald baut er beim WaldWerken mit seinen Kursteilnehmern Stühle, Bänke und Xylophone. Ganz wie früher: ohne elektrische Geräte, nur mit Werkzeugen aus Holz.
Mit Druck, aber dennoch vorsichtig dreht Lothar das Gewinde ins Holz. Der Ast knarzt und knackt. Langsam fräst sich das Gewinde tiefer hinein, wie ein Korkenzieher in einen Korken. Holzsplitter fallen vom Schraubstock, in den das Holz eingespannt ist. Vorsichtig dreht Lothar weiter. Kursteilnehmer Philipp sitzt in der Hocke daneben und beobachtet die Unterseite des Astes, er darf auf keinen Fall reißen. Und dann passiert es: ein Knacken, ein Knarzen, die Spitze des Bohrers lugt aus dem Holz hervor - und rechts und links vom Bohrloch splittert das Holz weg. „So ein Mist“, ruft Philipp. Doch Lothar lächelt gelassen: „Kein Problem. So ist das eben, wenn man mit der Hand und ohne elektrische Geräte arbeitet.“
Er muss es ja wissen: Lothar Wilhelm, eigentlich Soziologe, aber seit vielen Jahren vom traditionellen Holzhandwerk und vom Wald begeistert. Seit mehr als 20 Jahren fertigt er allerlei Dinge aus Holz und nutzt dabei fast ausschließlich Werkzeuge, die ohne Strom funktionieren. Sein Wissen teilt er heute mitten im Biosphärenreservat Bliesgau, vor den Toren der Barockstadt Blieskastel, im Projekt WaldWerken, bei dem Teilnehmer, wie Phillip, Stühle, Bänke oder Xylophone aus Holz bauen – mitten im Wald auf einer Lichtung, im „Open-Air-Atelier“, wie er es nennt. „Mit dem Wald habe ich mich schon als Kind beschäftigt und dann später gemerkt, wie gut den Menschen der Aufenthalt im Wald tut und dass sie offener anderen Menschen und neuen Projekten gegenüber sind, wenn diese im Wald stattfinden“, erzählt der Wildholzbauer und Waldphilosoph.
Beim WaldWerken lehrt Lothar auch Wichtiges zum Thema Naturschutz
Im Sommer ist es hier, im Schatten hoher Buchen, angenehm kühl. Die Sonne blitzt nur hin und wieder durch das dichte Blätterdach und lässt das Grün der Farne am Waldboden leuchten. „Eigentlich sind die Farne nicht so gut für den Wald“, erzählt Lothar. „Sie wachsen wie Unkraut und nehmen kleinen Bäumen das Licht – aber schön sehen sie trotzdem aus.“ Wie recht er hat. Vögel zwitschern, der Wind rauscht hoch oben über den Köpfen der kleinen Gruppe, die auf der Lichtung fleißig an ihren Wildholz-Stühlen baut.
So ruhig es im Wald um die Handwerker herum ist, so geschäftig geht es hier zu. Philipp ist noch immer mit dem Handbohrer beschäftigt. Gemeinsam mit Markus versucht er erneut, ein Loch in einen Ast zu bohren, diesmal ohne einen Riss im Holz. Ein paar Meter entfernt sitzt Anne auf einer alten hölzernen Schnitzbank. Mit den Füßen drückt sie gegen einen Hebel, der auf der Bank einen dicken Ast fixiert. Schicht für Schicht schält sie den Ast, bis sie mit der Hand locker drum herum greifen kann. Was das wird? „Ein Hammer“, sagt Anne stolz. „Damit können wir nachher die einzelnen Teile der Möbel zusammensetzen.“
Wer jetzt an Nägel denkt, liegt falsch. „Das Geheimnis sind exakte Bohrlöcher, präzise geschnitzte Zapfen und ein bisschen Holzleim“, verrät Lothar. Und genau diese filigrane Arbeit macht das Möbelbauen zu mehr als reinem Handwerken. „Es ist gleichzeitig eine Art Meditation und Entschleunigung, die dich den gesamten Alltag vergessen lässt“, sagt er und lächelt in seinen grauen Bart hinein. Insgesamt fünf Tage werkeln die Teilnehmer gemeinsam, bis ihre Stühle fertig sind. Zwei Tage im Frühjahr und drei im Spätsommer. „Im Frühling, wenn die Äste der Bäume voller Saft sind, ernten wir das Holz, das wir für die Kunstwerke brauchen“, erzählt Lothar. „Dabei fällen wir nicht einfach wahllos irgendwelche Bäumchen, sondern entnehmen der Natur nur krankes Holz oder kleine Bäume, die zu eng mit anderen zusammenstehen. Am Ende des Kurses pflanzen wir auch ein paar neue Setzlinge, um unseren Eingriff in die Natur wieder auszugleichen. Wir betreiben also, neben dem Stühlebauen, auch ein Stück weit Waldpflege und Naturschutz.“
Das frische Holz wird von den Teilnehmern im Anschluss geschält und trocknet bis zum Spätsommer. Und dann geht es an den eigentlichen Bau. „Am ersten Tag bauen wir das Rückenteil des Stuhls, am zweiten Tag das Vorderteil und verbinden beides miteinander, und am dritten Tag flechten wir die Sitzfläche und sorgen für Stabilität“, erklärt der Wildholzbauer. Alles ohne Strom und elektrische Geräte. Am Ende ist jeder Stuhl ein Unikat. Doch das Entscheidende beim Bau sind nicht etwa die Ergebnisse. Lothar meint: „Klar, so ein Erinnerungsstück ist schon toll, aber viel bedeutender sind die Erfahrungen und die gegenseitige Hilfe und Wertschätzung innerhalb der Gruppe. Oft ist es so: Die Einen kommen mit dem handwerklichen Geschick und die Anderen mit den Gestaltungsideen. Daraus ergibt sich dann eine Einheit.“
Die japanische Idee des Waldbadens inspirierte Lothar sehr
Genau, wie dieses Mal. Während Philipp und Markus fürs Grobe zuständig sind, machen sich Anne und Svenja Gedanken über die Farben der Sitzfläche. „Hierfür nutzen wir Baumwollbänder, die ineinander geflochten werden“, erklärt Lothar. „Und das ist viel einfacher, als es klingt.“ Überhaupt würden sich viele Teilnehmer den Kurs erstmal nicht zutrauen und seien am Ende überrascht und mächtig stolz, was sie mit ihren eigenen Händen geschafft und geschaffen haben.
Seine nachhaltige Einstellung zum Wald und seine Kursphilosophie hat Lothar von den Japanern übernommen. „Japanische Forscher haben festgestellt, dass durch die Gerüche im Wald viele physikalische und mentale Blockaden beim Menschen gelöst werden. Daraus entwickelten sie die Idee des „shinrin yoku“, was übersetzt Wald und Baden bedeutet und mittlerweile auch hier in Deutschland praktiziert wird“, erklärt er. „Außerdem wollen die Japaner aus Prinzip vieles mit der Hand herstellen, aufgrund ihrer Philosophie und Ästhetik, und das schließt den Kreis zum Projekt WaldWerken, zu diesen einfachen Dingen des Lebens. Auch für mich besteht der Luxus in der Einfachheit, darin, mit Holzwerkzeugen zu arbeiten und nicht mit Maschinen.“ Auch die Werkzeuge, die er in seinen Kursen nutzt, wurden in Japan gebaut. Selbst dort war Lothar aber noch nie. „Ich bin nicht der leidenschaftliche Reisende, ich bin lieber in meinem Wald hier“, schmunzelt er.
Die Kursteilnehmer teilen seine Leidenschaft zum Handwerk und zum Wald. Viele von ihnen sind „Stammgäste“ und bereits zum zweiten oder dritten Mal dabei. „Ich habe schon fast eine ganze Sitzgruppe zu Hause“, erzählt Markus lachend. Er und Philipp tüfteln noch immer an der richtigen Bohrtechnik. „Jetzt haben wir es aber raus“, ruft Philipp. Vorsichtig dreht er den Handbohrer wieder in einen Ast. Es knarzt und knirscht, dann ist der Bohrer zur Hälfte drin. „Stop“, meint Markus, „jetzt umdrehen.“ Philipp zieht den Bohrer aus dem Loch und gemeinsam spannen sie den Ast um 180° gedreht wieder in den Schraubstock ein. Ein zweites Mal setzt Philipp den Bohrer an. Dreht und dreht, wieder fallen Späne und mit einem Ruck rutscht der Bohrer ganz ins Loch. Geschafft! Stolz präsentieren die beiden ihr Ergebnis Lothar: Ein Loch ganz ohne Risse im Holz. „Seht ihr. Für die einen ist das nur ein Loch, aber für Markus und Philipp ist es ein Erfolgserlebnis. Und das macht das WaldWerken so besonders.“
Hier geht´s zum WaldWerken.
Fotos: Gregor Lengler