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© Eike Dubois
Begegnungen

Ein Ort für spannende Begegnungen

Das kleinste Flächenland Deutschlands hat viel erlebt: es wechselte Staatszugehörigkeiten, war durch Kohle und Stahl eine der führenden Industrieregionen Europas, musste das Ende des Bergbaus verkraften und sich neu erfinden. All das hat Spuren hinterlassen, die dem Saarland heute ein besonderes Gesicht geben und spannende Begegnungen ermöglichen. So hängt moderne Kunst zwischen rostigen Stahlrohren, vor Hochöfen erklingt Jazz und Hinterhöfe werden zur Kleinkunstbühne. Dadurch ist das Saarland nicht bloß eine hübsche Kulisse zum Anschauen, sondern ein Ort für echte Erlebnisse.

Mehr als 250.000 Besucher kommen jedes Jahr in die Völklinger Hütte, um in die Geschichte dieser einzigartigen Industrieanlage einzutauchen, Kunstausstellungen zu besuchen oder Konzerten zu lauschen. Warum das so ist, erzählen Meinrad Maria Grewenig, Generaldirektor der Völklinger Hütte, und Hermann Hille, ehemaliger Betriebschef für die Hochofenanlage. 

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NACH DER STILLSETZUNG 1986 SOLLTE DIE VÖLKLINGER HÜTTE ABGERISSEN WERDEN. DANN WURDE SIE UNTER DENKMALSCHUTZ GESTELLT. WIE ERLEBTEN SIE DIE SITUATION?

Hermann Hille: Ich wurde im Prinzip aus einem laufenden Betrieb gerissen. Schlimm fand ich die Vorstellung, dass alles abgerissen wird – aber auch die Vorschläge, das Werk einfach verfallen zu lassen oder hier eine Art Disneyland zu bauen. Dass die Hütte einmal UNESCO-Weltkulturerbe werden würde, damit hat keiner gerechnet.

Meinrad Maria Grewenig: Die Situation war damals schon skurril, die Schrottpreise rasten in den Keller und ein Abriss war nicht mehr zu finanzieren. Die Hütte wurde unter Denkmalschutz gestellt – und das war der Beginn eines ungewöhnlichen Weges, der viele Kontroversen auslöste, aber bislang zum erfolgreichsten touristischen Modell im Saarland führte.

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WARUM HAT ES SICH GELOHNT, FÜR DEN ERHALT DER VÖLKLINGER HÜTTE IN IHRER HEUTIGEN FORM ZU KÄMPFEN?

Hermann Hille: Hier kann man eigentlich alles über die Eisenhütten- und Stahlindustrie erfahren, über mehr als 100 Jahre Industriegeschichte. Nirgendwo sonst sind auf so engem Raum alle Schritte zur Roheisenerzeugung in kompletten Zustand und so gut erhalten zu sehen.

Meinrad Maria Grewenig: Die Völklinger Hütte ist einer der spannendsten Plätze der Welt und einer der produktivsten Orte unserer eigenen Geschichte. Der Industriekultur verdanken wir unseren Wohlstand, unsere Sozialsysteme und Gesundheitsversorgung. Das dürfen wir nicht vergessen – und das sollen auch noch die nächsten Generationen hier erleben können.

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DAS GELÄNDE IST HEUTE AUCH BÜHNE FÜR KONZERTE UND AUSSTELLUNGEN. WIE PASST DAS ZUSAMMEN?

Meinrad Maria Grewenig: Für mich ist die Völklinger Hütte der perfekte Kulturort des 21. Jahrhunderts – Darsteller und Bühne zugleich. Wir haben hier auf der einen Seite die Industriekultur, deren Geschichte und Technik wir vermitteln. Auf der anderen Seite strahlt die Hütte eine ganz besondere Ästhetik aus, die sie zu einer wunderbaren Plattform für andere Kulturformen macht, wie Kunst und Musik.

Hermann Hille: Für mich ist das immer noch ungewöhnlich, an meiner alten Arbeitsstätte Kunstausstellungen zu sehen. Aber ich muss sagen, die riesigen Maschinenhallen und rostigen Außenanlagen lassen Bilder und Skulpturen auf eine ganz besondere Art wirken. 

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INKA-SCHÄTZE UND BUDDHA-STATUEN VOR GIGANTISCHEN MASCHINENRÄDERN UND ROSTROTEN MAUERN – WAS BRINGT DIESE MIXTUR?

Meinrad Maria Grewenig: Wir zeigen in einem technischen Großdenkmal Kunst – das führt unweigerlich zu spannenden Grenzüberschreitungen. Und je prachtvoller, exotischer, farbintensiver oder manchmal auch filigraner die Kunstwerke sind, umso größer sind Reibung und Dialog. Unsere Erfahrung zeigt, dass die Besucher gerade diese überraschenden Kontraste schätzen – und sie fast schon von uns erwarten.

Hermann Hille: Ein gutes Beispiel sind für mich die Fotos von Steve McCurry zum Thema Buddhismus: sie wirken in der Möllerhalle stark und zugleich geerdet - und bringen das alte Lager zum Leuchten. 

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AUF DER VÖLKLINGER HÜTTE WURDE EINST RUND UM DIE UHR SCHWEISSTREIBEND GEARBEITET. WARUM KANN MAN HIER HEUTE GUT ENTSPANNEN

Hermann Hille: Die Anlage ist so gut erhalten, dass ich mich manchmal wundere, wo der ganze Lärm und die Hitze der Hochöfen geblieben sind. Dann aber genieße ich die friedliche Ruhe und die Natur, die sich hier wieder breit gemacht hat.

Meinrad Maria Grewenig: Ich denke, die Völklinger Hütte bietet viele Orte zum Innehalten und Entspannen. Ich persönlich finde meine innere Ruhe auf einem Platz in der Kokerei, der mit dicken gusseisernen Platten belegt ist. Diesen Ort würde ich sofort gegen jeden Platz auf der Welt eintauschen. 

Die Bildrechte der hier dargestellten Fotografien liegen bei Gerhard Kassner (Titel) und Marcus Simaitis (Fließtext).

Autor

Alexandra Wolters

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